Hanspeter und sein Lamborghini
Keine Servolenkung, kein ABS und rund 30 Liter Benzin auf 100 Kilometer. Ohne Frage: Einen Lamborghini Countach muss man wollen – und können. Der Countach ist mehr als ein Auto: Er ist eine Legende, ein Mythos – schlicht Kult. Hanspeter Sauter fährt seinen Lamborghini Countach LP 400 S seit vier Jahrzehnten und ist immer noch fasziniert von seinem treuen Gefährten.
Wo immer der schneeweisse Lamborghini mit dem grossen Ferruccio Lamborghini-Badge auf der Front und dem markanten Erinnerungslogo vom F1 Grand-Prix Monaco 1982* auftaucht: Das Auto zieht alle Blicke in seinen Bann. Ähnlich einer Lawine, die weiss und mit lautem Grollen begleitet den Berg runterdonnert. Beim Lamborghini Countach LP 400 S mit Jahrgang 1982 ist es umgekehrt: Meistens donnert dieser den Berg hinauf, bei Classic Berg- und Rundstreckenrennen.
Wer sitzt am Steuer? Ist es Maurizio Gucci, der Wolf of Wall Street oder “der schöne Klaus vom Hamburger Kiez”? Weder noch, es ist Hanspeter Sauter. Der ehemalige Verkaufsleiter von Magirus (IVECO) Feuerwehrfahrzeugen erwarb den Countach der zweiten Generation in den 1980er Jahren und hat seit damals rund 60’000 Kilometer zurückgelegt: “Mehr als jeder andere Schweizer in einem Countach”, vermutet der 72-jährige Besitzer der Flunder. “Und ich liebe es immer noch.”
Gekocht, gegrillt und gegart
Das Fahren eines Countachs sieht zwar bequem aus, weil die Sitzposition einem chilligen Fernsehsessel ähnelt, doch in Wirklichkeit ist es Schwerstarbeit: “Das Auto hat kein ABS, keine Servolenkung, einen sehr beschränkten Lenkeinschlag, einen extremen Wendekreis und wenn man im Stand manövrieren will, braucht man danach kein Krafttraining mehr”, lacht Sauter. Dazu kommt die Hitze, die im Auto entsteht: von der grossen Frontscheibe vorne, dem heissblütigen 12-Zylinder hinten und dem aufgeheizten Getriebe dazwischen. “Die Klimaanlage kann die Innenwärme schon nach einer Stunde nicht mehr abkühlen. An einem Rotlicht öffne ich darum manchmal die Türen, damit Frischluft reinkommt.”
Es ist also keine Show, die ein Countach-Fahrer abziehen will, wenn er die spektakulären Scherentüren an einem Rotlicht öffnet, sondern medizinisch notwendig, damit die Insassen nicht gekocht, gegrillt und gegart werden. Das Rückwärtsfahren ist eine eigene Disziplin, die Hanspeter Sauter nach vierzig Jahren perfekt beherrscht. Er braucht also nicht mehr auf den Schweller zu hocken, sondern parkt die Flunder rückwärts wie seitwärts ohne Schweissausbrüche ein.
Was cool aussieht, kann zur Todesfalle werden
Beim Countach ist alles ein bisschen anders als bei normalen Autos. Nur schon die Türen, die nach oben aufgehen. Sieht wahnsinnig cool aus, aber bei einem Überschlag auch eine Todesfalle. “Für den Notfall ist ein Glashammer an Bord, um die Frontscheibe einzuschlagen, falls das Auto auf dem Dach liegen würde.” Brenzlige Situationen gab es in den letzten vier Jahrzehnten zum Glück nicht viele, bis auf einen kuriosen Zwischenfall neulich auf der Autobahn: “Eine Frau in einem Kleinwagen überholte mich und schnitt mir danach so krass den Weg ab, dass ich auf den Pannenstreifen ausweichen musste – es fehlten nur noch wenige Zentimeter bis zum Crash.”
Während die Beschleunigung zu den Kernkompetenzen des Lamborghini Countach LP 400 S gehört, so wenig ist es das Bremsen. “Die innenbelüftete Bremsanlage ist nicht für die extreme Leistung ausgelegt. Ich muss also immer genug Spielraum einkalkulieren, stets vorausschauen und den Kopf bei der Sache haben.” Sauter hat in den vier Jahrzehnten gelernt, den Countach richtig zu fahren und weiss das Auto auch in Extremsituationen zu bewegen.
Bis jetzt wachte der Geist des 1993 verstorbenen Ferruccio Lamborghini, dessen Unterschrift sogar im Fahrzeug verewigt ist, gut über Sauters Countach. Auch was den Unterhalt des Fahrzeuges betrifft, hatte Sauter bis dato Glück. “In den vierzig Jahren machte ich erst eine Totalrevision des Motors, obwohl sie nicht unbedingt nötig gewesen wäre.
Es fing ganz harmlos an, mit etwas Wasserverlust. Zusammen mit einem Freund gingen wir der Sache auf den Grund. Es war die Zylinderkopfdichtung. Gut, sagte ich mir, wenn wir schon den ganzen Motor draussen haben - was eine ziemlich friemelige Millimeter-Arbeit ist -, dann machen wir gleich eine ganze Motorrevision. Dazu gehörten unter anderem der Anlasser, zwei revidierte Wasserkühler, Kolben, Lager und Nebenaggregate.” Bei der Auswahl der Ersatzteile setzte Hanspeter Sauter – anders als vom Werk original verbaut – auf beste Qualität und investierte lieber ein bisschen mehr, um nicht nochmals den ganzen Motor samt Getriebe ausbauen zu müssen. Weil Hanspeter Sauter eine Grundausbildung als Automechaniker hat, fiel es ihm nicht schwer, zusammen mit einem Kollegen den Countach wieder auf die Strasse zu bringen. Hätte Sauter die Totalrevision extern gegeben, wäre er heute um geschätzte 150’000 Franken ärmer.
“Viele Schlawiner da draussen”
Ein Lamborghini Countach wurde schon für viele zum Geldgrab. Und wir sprechen dabei nicht mal über die 30-Liter-Benzinverbrauch auf hundert Kilometer, sondern über richtig viel Geld. “Da draussen gibt es viele Schlawiner – nicht nur Verkäufer, sondern auch selbsternannte Spezialisten, die horrende Summen fordern und dann die Reparaturen nicht richtig ausführen.” Sauter weiss von befreundeten Lamborghini Countach-Fahrerinnen und -Fahrer, die bereits hunderttausende Franken ausgegeben haben und immer noch vor einer Ruine stehen. “Nicht selten enden solche Sachen vor Gericht. Ohne Aussicht auf Erfolg.” Als Besitzer eines solchen exotischen Sportwagens muss man sich auch bewusst sein, dass es gewisse Elemente einfach nicht mehr gibt. “Die Magnesium-Felgen sind schon lange nicht mehr erhältlich, die Dimensionen der Pirelli Cinturato P7 sind sehr aussergewöhnlich: Hinten 345/35 VR15, vorne 205/50 VR15 vorne. Solche Reifen produziert Pirelli nur auf Sammelbestellung. Da muss man dann zugreifen.”
Tätscheln und lobende Worte
Wer einen Lamborghini Countach haben will, muss den Markt kennen, gute Beziehungen haben und ihn so pflegen wie Hanspeter Sauter. “Seit dem ersten Tag pflege ich ihn hingebungsvoll.” Dazu gehört nicht nur die Standardpflege, sondern auch lobende Worte, liebevolle Tätscheleien, Verständnis für die italienische Technik und Nachsicht mit der italienischen Fertigung. Trotzdem: “Wir sind einfach ein gutes Team.”
Natürlich: Der Countach LP 400 S mit Baujahr 1982 hat Patina, kleine Spuren eines aufregenden Lebens. So hat er auch schon im Countach übernachten müssen, weil er kein Hotelzimmer mehr gefunden hat. “Das gehört jetzt nicht zu den besten Erfahrungen mit dem Auto”, lacht Sauter. Viele Autofans würden dennoch den Preis einer Luxus-Suite zahlen, um dies ebenfalls mal zu erleben. Selbst wenn sie mit Rückenschmerzen aufstehen.
Auch nach vier Jahrzehnten macht Hanspeter Sauter das Fahren seines weissen Countach immer noch spitzbübischen Spass. So ist er in den Sommermonaten regelmässig an nationalen und internationalen Oldtimer-Treffen zu sehen und hat an solchen auch schon viele Preise gewonnen. Und wird es auch noch in Zukunft tun.
Wer das Auto selbst mal live erleben will, der kann es an der Auto Zürich Classic, wo Hanspeter Sauter den Countach in der Halle 6, Stellplatz 76 präsentiert. Und nein, er ist unverkäuflich. Schliesslich sind Hanspeter und sein weisser Lamborghini ein Team – seit vier Jahrzehnten.
*Lamborghini stellte beim F1 GP in Monaco 1982 sechs Lamborghini LP 400 S zur Verfügung, die als Safety Car, Interventions Car (heute Medical Car) und Strecken Inspektionsfahrzeug eingesetzt wurden.
Text: Jürg Zentner
Bilder: Christian Lienhard (lienhardbildwerke.ch)