Wem gehören meine Daten?
Jessica ist auf folgendes Zitat gestossen: «Wir kennen jeden Autofahrer, der die Verkehrsregeln bricht. Und weil das Ortungssystem GPS in den Autos installiert ist, wissen wir, wo und wie jemand das tut.» Das machte sie hellhörig.
Das Zitat stand im «K-Tipp» und stammt von Jim Farley, Ford-Europa-Chef und heutiger Ford-CEO. Jessica könnte diese Daten aktuell gut gebrauchen: Ihr wird vorgeworfen, jemanden den Vortritt nicht gewährt zu haben, was zu einem Unfall führte. Zu allem Übel war auch noch ein Zeuge zufälligerweise anwesend. Hat Jessica Zugriff auf die Fahrzeugdaten – und wer sonst noch?
Grundsätzlich muss zwischen den Daten aufgrund des sogenannten eCall112-Notrufsystems und den im Fahrzeug gespeicherten Daten unterschieden werden. Mit eCall112 werden bei einem Unfall automatisch die Notrufzentralen informiert. Gemäss Merkblatt des Bundesamts für Strassen (ASTRA) sei eCall112 nur dann aktiv, wenn ein Unfall beispielsweise mit Airbagauslösung passiert. Sonst kann das Auto nicht verfolgt werden. Nur die Notrufzentralen dürfen zudem Zugriff auf die Daten von eCall112 haben und nur wenn es für ihre Aufgabe nötig ist. Der Fahrzeughersteller dürfe ferner keinen Zugriff auf die Daten von eCall112 haben, ausser die Halter erteilen ausdrücklich die Erlaubnis dazu, heisst es beim ASTRA weiter. eCall112 ist für Fahrzeuge ab 2018 Pflicht. Offenbar funktioniert eCall112 aber in der Schweiz gemäss «K-Tipp» noch nicht richtig.
Das Auto als Datenkrake
Zu unterscheiden davon sind die herstellereigenen Notrufsysteme und die weiteren Daten, die im Auto gespeichert und/oder dem Hersteller übermittelt werden. Unabhängig von eCall112 werden in modernen Autos fahrdynamische (Unfall-)Daten gespeichert: GPS-Informationen aus dem Navigationssystem, Informationen über den Schliesszustand, Geschwindigkeit, Mediafiles, verbundene Drittsysteme wie Handys, USB-Sticks und dergleichen. Welche Daten konkret abgelegt werden, ist unterschiedlich.
Nur, wie kommt man an diese Daten heran? Der Zugriff auf Daten im eigenen Auto unterliegt den zivilrechtlichen Vertragsbestimmungen zwischen Benutzer/Käuferin und Betreiber/Herstellerin. In Auto-Kaufverträgen finden sich dazu teilweise eher schwer verständliche Bestimmungen. Hinzu kommen die nationalen Datenschutzregelungen. Das kann für die Autofahrer und Lenkerinnen schon mal rechtlich reichlich kompliziert werden. Zudem: Eine nicht repräsentative Umfrage unter «Autorechtlern» ergab 2020, dass es oft schwierig ist, an seine Daten aus dem Auto heranzukommen. Entweder geben die Hersteller die Daten nicht heraus oder sie sind ganz einfach nicht lesbar, ausser natürlich für die Autohersteller selbst.
In den USA gibt es bereits ein Gesetz dafür (Quelle: National Highway Traffic Safety Administration 49 CFR Part 563). Solange ein Bosch-CDR-Tool in den Autos installiert und aktiv ist, können die Verkehrspolizisten die Fahrzeugdaten nach einem Unfall sichern und die digitalen Spuren, die sogenannten «EDR-Daten», auswerten. Ein Unfall lässt sich dann mit den in den Unfallautos gespeicherten Daten rekonstruieren.
Schweiz folgt 2022
Auf dem alten Auto-Erfinder-Kontinent ist man allerdings noch nicht so weit. Immerhin: Aufgrund einer Anpassung im EU-Recht sollen ab circa 2022 die Fahrzeughersteller verpflichtet werden, einen konkret definierten Datensatz nach einem Unfallgeschehen elektronisch zu speichern, der lesbar sein muss. Gemäss ASTRA wird die Schweiz nachziehen, was mangels eigener «grosser» Autoproduzenten sinnvoll scheint. Noch unklar ist, ob dann auch die Behörden darauf Zugriff haben. Bereits heute gibt es aber Fälle, bei denen Fahrzeuginhaber die Daten nach der Beschlagnahmung des Fahrzeugs beispielsweise nach einem Unfall «versiegeln» lassen, weil sie eben nicht möchten, dass die Polizei auf alle Daten – auch die persönlichen – Zugriff haben.
Muss Jessica nun bis 2022 warten, bis die Schweiz und die EU auch so weit sind? Nein: Sie konnte die Polizei davon überzeugen, die Handydaten des verdächtigen Zeugen sowie des nicht minder grimmigen «Unfallopfers» abzugleichen. Und wie es der glückliche Zufall wollte, ergab die Analyse ihrer Handys eine treue Freundschaft mit gemeinsamer Vergangenheit im geschlossenen Strafvollzug: «So geht das», würde nun der sonntägliche Meisterdetektiv im Radio dazu sagen.
Dieser Artikel entstand unter freundlicher Mitwirkung von Stefan Liechti, Senior Specialist Accident Reserach & Prevention der Axa Versicherung AG, sowie des ehemaligen Chefredaktors der ai, Ueli Habersaat-Mettler. Vielen Dank!
Robin Road wünscht Ihnen weiterhin gute Fahrt!
Text: Robin Road
Fotos: Vesa Eskola
Robin Road hilft
Dr. Rainer Riek — alias Robin Road — schreibt in jeder ai-Ausgabe oder auf unserer Homepage
www.auto-illustrierte.ch über strassenverkehrsrechtliche Themen sowie rund ums Auto im Recht. Er ist Rechtsanwalt und Notar bei www.zp-law.ch und unter anderem spezialisiert auf Strassenverkehrsrecht. Zudem postet er seine Autoquartette auf dem Auto-Blog von www.driving.legal.
Wenn Sie ein strassenverkehrsrechtliches Problem oder Fragen dazu haben, schreiben Sie Robin Road eine E-Mail: [email protected]
Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier meist um reale Fälle mit geänderten Namen. Jeder Fall ist verschieden und muss einzeln betrachtet werden. Daher erfolgen sämtliche Empfehlungen und Angaben ohne Gewähr.
Bisher erschienene Beiträge von Robin Road
Gespachtelt, verrostet, geschweisst
Wer haftet beim E-Auto-Brand?
Rechts oder richtig?
Gestohlen gekauft
Camping – wild oder legal?
Die Auslandstat
Aussage gegen Aussage beim Posen
Gegen Strafbefehl vorgehen lohnt sich
Killt Corona die Via Sicura?