Classic

VW Scirocco - Vergessener Wüstenwind

Die zweite Generation des Scirocco war ein Erfolgsmodell. Die Volkswagen Classic Abteilung hat uns ihren «White Cat» für eine ausgiebige Probefahrt zur Verfügung gestellt. Als ob es gestern gewesen wäre!

Veröffentlicht am 04.03.2023

Das erste Auto ist eigentlich immer das Ärmste. Es war auch bei mir so. Ich kaufte meinem Bruder damals für kleines Geld den VW Scirocco II GTI ab. Das Todesurteil für den flachen Wolfsburger war damit unterschrieben. Nein, ich habe ihn nicht in jugendlichem Leichtsinn kaltverformt. Doch der 1,8-Liter-Motor musste dann doch irgendwann als wirtschaftlicher Totalschaden abgeschrieben werden, weil weggekocht. Aber der erste sollte nicht der letzte sein. Aufgrund des damals noch ziemlich eingeschränkten automobilen Horizonts wurde dann auch der zweite ein Scirocco II.

Als «aufregend vernünftig» wurde der Scirocco II 1981 angepriesen.

Und zumindest hatte ich da etwas mehr Fantasie und entschied mich, auch der dezenten Leistungsspritze gegenüber dem 1600er GTI, für einen paprikaroten 16V in der begehrten Scala-Ausführung. Heisst, mit lackierten Stossstangen, Schwellern und einem schicken Innenraum mit Akzenten in Wagenfarbe. Gegenüber der braunen Presspappenhöhle des grünen Vorgängers war dies bereits ein Fortschritt. Den machte ich selbstverständlich umgehend wieder zunichte, indem ich ein viel zu kleines Sportlenkrad verbaute, womit das Parkieren ab sofort zur Qual wurde.

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Nicht nur die Zeit fliegt

Seitdem gingen fast 30 Jahre ins Land und auf so manche Kurbelwelle. Einen Scirocco habe ich seitdem nie wieder besessen. Meine Liebe driftete dann im wahrsten Sinne des Wortes in die Richtung wintertauglicher Autos mit Allrad und Turboaufladung ab. Aber es kam immer wieder mal vor, dass ich mich im Gebrauchtwagenmarkt nach den Scirocco II umsah und feststellen musste, dass die Autos auch immer weniger wurden.

Zurück ins Heute und ab in die heiligen Hallen der Volkswagen Classic. Ich musste es nochmals wissen und buchte vorsorglich einen alpinweissen Scirocco II in der «White Cat»-Edition für eine Testfahrt. Es machte nichts aus, dass dieses Exemplar nur 95 statt der 129 PS meines damaligen 16V hat. Bei nur 900 Kilogramm Leergewicht wird dies definitiv für ein paar flotte Kurven in der Memory Lane reichen.

Der Scirocco taugt für den Streit unterwegs

Man vergisst vieles über die Jahre. So zum Beispiel, dass der «Wolfsburger Türkeil» eine hervorragende Rundumsicht hat. Dass die Innenraumergonomie immer noch absolut vertraut ist, jeder Griff nach Heizung, Licht und dem nach hinten geneigten Schalthebel sitzt, als wäre ich erst gestern aus meinem Scirocco ausgestiegen. Einzig der fünfte Gang ist nicht mit einer «5», sondern mit einem grünen «E» für Economy auf dem Schalthebel beschriftet. Geblieben ist die Geräuschkulisse. Auf dem kurzen Autobahnstück fällt mir ein, warum ich damals eine völlig überdimensionierte Hi-Fi-Anlage einbaute. Ab 140 km/h ist es im Scirocco so laut, dass man nur noch Streitgespräche führen kann.

Ergonomie von damals, wie mit dem Lineal gezeichnet.

In der Autobahnausfahrt erinnere ich mich an eine weitere Anekdote. Wir haben uns seinerzeit zu siebt ins Auto gequetscht. Und Erkenntnisse, dass das Auto trotz oder vielleicht gerade wegen der spartanischen Technik auch heute noch hervorragend funktioniert und im modernen Strassenverkehr auch mit 95 PS noch sehr gut mithalten kann. Und, dass 900-Kilogramm-Autos eigentlich völlig ausreichend sind, sofern man nicht spontan zu siebt an einen See fahren möchte. Da bekundete er dann wirklich Mühe, die Fuhre in Schwung zu halten.

VW Golf 4 R32: Noch mehr wolfsburger Youngtimer!

Text & Bilder: Markus Kunz

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