Unrechtmässige Tempobegrenzung
Fredy regte sich furchtbar auf – wieder einmal eine unmotivierte Temporeduktion auf einer Landstrasse. Weit und breit keine gefährliche Situation, die eine Temporeduktion begründet hätte. Reine Schikane – dachte er.
So geschehen am Ostersonntag, dem 4. April 2021. Die Kantonspolizei Glarus führte Geschwindigkeitsmessungen auf der Kerenzerbergstrasse oberhalb von Mollis durch. Was als routinemässige Kontrolle begann, entwickelte sich zu einem juristischen Drama in mehreren Akten – immerhin mit einem Happy End!
Die Kerenzerbergstrasse, die normalerweise eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h erlaubt, war aufgrund von Bauarbeiten und erhöhtem Werkverkehr vorübergehend auf Tempo 50 beschränkt worden. Genau an dieser Stelle wurde Fredy mit seinem Auto von den Radarfallen erfasst, als er mit 75 km/h unterwegs war. Die Staatsanwaltschaft verhängte eine Strafe von 400 Franken plus Verfahrenskosten. Fredy legte Einsprache ein. Die Strafkammer des Kantonsgerichts bestätigte zwar Fredys Schuld, senkte die Strafe jedoch auf 350 Franken. Unbeirrt ging Fredy in Berufung, mit der Begründung, das Temposchild sei nicht ausreichend sichtbar gewesen. Zudem habe rein gar nichts auf eine Baustelle hingewiesen.
Ungerechtfertigte Tempobegrenzung
Das Obergericht sah sich schliesslich mit der Frage konfrontiert, ob die Schilder für abwärts fahrende Fahrer erkennbar waren und ob die Temporeduktion an Feiertagswochenenden überhaupt notwendig war. Während die Staatsanwaltschaft beide Fragen bejahte, zweifelte das Obergericht an der Notwendigkeit der Tempobeschränkung an Feiertagen, wenn keine Bauarbeiten stattfanden. Zudem stellte das Gericht fest, dass die Signaltafel, die sich ungefähr in der Mitte der Linkskurve befand, insbesondere für Motorradfahrer schwer erkennbar sein könnte, da deren Blick an der Stelle der Signaltafel bereits auf den Kurvenausgang gerichtet ist. Es kam zu dem Schluss, dass die Tempobegrenzung an den Feiertagen nicht gerechtfertigt war und die Schilder hätten abgedeckt werden müssen.
Das Obergericht stützte sich unter anderem auf den Vertrauensgrundsatz im Strassenverkehr, wonach Verkehrsteilnehmer alle Verkehrssignale beachten müssen, selbst wenn diese rechtswidrig sind, um die Verkehrssicherheit nicht zu gefährden. Doch in diesem Fall bestand keine Gefahr für die Verkehrssicherheit. Die Strasse war breit und übersichtlich und die Verhältnisse zum Messzeitpunkt waren günstig.
Infrage gestellte Kontrollen
Das Obergericht hielt fest, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h während der Feiertage ungültig war und die Verkehrsteilnehmer nicht verpflichtet waren, sie zu beachten. Zusätzlich stellte das Gericht fest, dass die Tempokontrollen an den Feiertagen ihren eigentlichen Zweck der Verkehrssicherheit verfehlten und den Anschein von Geldmacherei erwecken könnten. Die durchgeführten Radarmessungen erschienen daher fragwürdig. Das Obergericht bestätigte die allgemein zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80?km/h auf diesem Abschnitt der Kerenzerbergstrasse während der Feiertage. Fredy wurde freigesprochen, da er die zulässige Höchstgeschwindigkeit somit nicht überschritten hatte.
Dieses Urteil setzt ein klares Zeichen: Die rechtswidrige Tempobegrenzung führte nicht nur zur Aufhebung von Strafen, sondern stellte auch die Legitimität der durchgeführten Kontrollen infrage. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Auswirkungen dieser Präzedenzfall haben wird. Robin Road wünscht allseits gute Fahrt!
Robin Road hilft
Dr. Rainer Riek – alias Robin Road – schreibt in jeder ai-Ausgabe und auf unserer Website über strassenverkehrsrechtliche Themen sowie rund ums Auto im Recht. Er ist Rechtsanwalt und Notar bei www.zp-law.ch und unter anderem spezialisiert auf Strassenverkehrsrecht. Zudem postet er seine Autoquartette auf dem Autoblog von www.driving.legal. Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier meist um reale Fälle mit geänderten Namen. Jeder Fall ist verschieden und muss einzeln betrachtet werden. Daher erfolgen sämtliche Empfehlungen und Angaben ohne Gewähr.
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