Sind Lärmblitzer sinnvoll? Ja oder Nein?
Eine Pressemitteilung des ASTRA führte bei uns intern zu Diskussionen: Der Kampf gegen den Strassenlärm. Sind Lärmblitzer eine sinnvolle Massnahme oder bloss eine Spassbremse? Zwei Redakteure, zwei Meinungen.
Die Pressemitteilung des Astras zusammengefasst:
Der Bundesrat hat am 16. Oktober 2024 neue Massnahmen beschlossen, um übermässigen Fahrzeuglärm effizienter zu sanktionieren. Dabei wurden verschiedene Rechtsgrundlagen angepasst, insbesondere zur Vermeidung unnötiger Lärmbelästigung. Die Massnahmen stehen im Zusammenhang mit der Umsetzung der Motion «Übermässigen Motorenlärm wirksam reduzieren», die strengere Sanktionen für übermässige Lärmemissionen fordert. Ein Pilotprojekt in Genf zur Identifikation lauter Fahrzeuge verlief erfolgreich, und weitere Projekte sind in Planung.
Meinung von ai-Redaktor Tristano Gallace:
Ach, der Bundesrat wieder mit seinen bahnbrechenden Prioritäten! Es ist natürlich völlig logisch, Millionen in Pilotprojekte zu stecken, um gezielt für ganze wenige Meter die Lärmbelästigung zu verringern. Vorher und nachher kann und wird die Sau rausgelassen. Es lässt sich kaum in Worte fassen, wie erleichtert die Bevölkerung sein muss, dass ihr Gehör in diesen bahnbrechenden lärmfreien Zonen endlich zur Ruhe kommt. Ein Hoch auf die Innovation!
Problem Nr.1: Lärm
Und jetzt, wo das Projekt in Genf ein so triumphaler Erfolg war, können wir selbstverständlich gar nicht genug davon bekommen, noch mehr Millionen Steuergelder in die Ausweitung und Weiterentwicklung dieser lebensrettenden Lärmblitzer zu stecken. Denn – wie könnte es auch anders sein – Lärm ist ja bekanntlich die grösste Gefahr im Strassenverkehr. Ich meine, wer von uns kennt nicht zahlreiche Menschen, die tragischerweise an übermässiger Dezibelbelastung dahingeschieden sind? Geschwindigkeit dagegen? Ja, klar gibt es auch, aber Lärm ist halt schon richtig böse! Mal die bisschen die Unfallstatistik studiert?
Auf Drei lärmfrei
Es wäre doch absurd, diese Lärmblitzer-Millionen in sinnvolle Massnahmen wie zum Beispiel eine verstärkte Überwachung von Tempoüberschreitungen an sicherheitsrelevante Zonen vor Schulen und Kitas zu investieren. Nein, das wäre ja viel zu profan. Auch vor diesen Einrichtungen ein paar 30er-Tafeln mehr aufstellen, sind ja nicht so fesch wie ein Fotoapparat, der bei zu lauten Fahrzeug-Blähungen anspringt. Stattdessen konzentrieren wir uns lieber auf das wirklich Wichtige: die Jagd auf moderne Auspuffanlagen, die – Überraschung! – legal, bei Geschwindigkeiten um 50 km/h ohnehin wenig Lärm verursachen und die ECE-R51.03 (Geräuschemissionen von Fahrzeugen) einhalten. Oder die, die sich illegalerweise auf Knopfdruck stummschalten lassen. Da wird der Blitzer ja ausgetrickst, och menno!
Kleine Bitte
Lieber Bundesrat, ihr seid super beschäftigt, klar verstanden. Unsere Bitte wäre, dass ihr Ingenieure und noch paar andere zahlenaffine Menschen in einen Raum setzt und zunächst die Wirksamkeit, Effizienz und technische Umsetzung der famosen Lärmblitzer-Idee besprechen lässt. Dafür braucht ihr nicht mal selbst anwesend sein, die Köpfe dort sollten sicher schlau genug sein.
Text: GAT (Jap, Bachelor of Engineering… wenn ich jetzt ein Mikrofon in der Hand hätte, würde ich es jetzt auf den Boden droppen lassen…)
Meinung von ai-Redaktor Jürg Zentner
Um eines klarzustellen: Nichts gegen den Sound eines 12-Zylinders oder eines V8. Es gibt Autos, die sind einfach laut, weil sie so gebaut wurden. Und das ist geil. Aber es gibt keinen Grund, warum ein moderner BMW M5 kleine Kinder, Hunde oder alte Menschen erschrecken muss oder eine neue Harley so tönen sollte wie ein sowjetischer Panzer aus dem Kalten Krieg. Auf den ersten Blick scheint es sinnlos, dass man den Lärm nur ein paar Meter weit misst und davor und danach die Sau rausgelassen werden kann. Doch es gibt einen Grund, warum an gewissen Orten die Motoren höher gedreht werden als anderswo.
Problem Nr. 1: Imponiermeilen
Es geht vor allem um sogenannte Imponiermeilen. Das sind kurze Abschnitte, wo es Publikum hat, die Hobbyrennfahrer beeindrucken wollen. Bekannt dafür sind belebte Orte in den Innenstädten, aber auch Strassen mit Shisha-Bars oder in meinem Fall ein Street-Coffee, das sich in meiner unmittelbaren Nachbarschaft befindet. So sehr ich dort den Kaffee, das Ambiente und das Publikum schätze, so sehr regen mich die Auto-Poser auf, die zwischen zwei Kreuzungen ihre Boliden hochdrehen lassen. Abgesehen davon, dass es dort sehr gefährlich ist, nervt es, wenn man jedesmal erschreckt, nur weil ein Idiot eine künstliche Rückzündung programmiert hat und es grundlos aus dem Auspuff knallt. Am nervigsten sind aber die aufgelärmten Motorräder, die lauter drehen als der Rega-Helikopter, der immer öfters hier landen muss. Die Tatsache, dass ein paar wenige mit ihren lauten «Auspuff-Orgien» ganze Strassenabschnitte terrorisieren, braucht eine sinnvolle Massnahme. Aus egoistischen Spass die Mitmenschen und die Umwelt zu belasten, ist rücksichtslos. Wer andere beeindrucken will, soll das anders machen. So wie früher mit einem Flick-Flack oder meinetwegen auch Jasskarten zwischen den Velospeichen. Lieber ein Rad schlagen, statt Räder durchdrehen zu lassen. Wenn etwas hilft, diese Rücksichtslosigkeit in den Griff zu kriegen, ob ein «Fotoapparat für Lärm», Bauchtänzerinnen oder zur Not halt auch eine Selbstschussanlage, dann bitte sofort her damit.
Problem Nr. 2: Traumrouten
Jeder Autoholic hat seine Traumroute, die er fährt. Sie ist im Normalfall nicht stark befahren, hat viele Kurven und überschaubare Beschleunigungsstrecken, die kombiniert zu vielen Gangwechsel führen. In einem alten Porsche 911 braucht man kein Radio mehr, weil man wegen dem Kreissägen-Sound im Heck gar nichts mehr hören kann. Hier passt der Sound zum Auto. Lustigerweise tönt es drinnen lauter als draussen. Aber es bringt absolut nichts, mit einem künstlichen Soundgenerator oder Bin Laden-Klappen die Umwelt zu terrorisieren. Man erschreckt damit nur die Wildtiere, weckt ihren Fluchtinstinkt und stört sie während der Brutzeit oder jetzt aktuell im Winterschlaf.
Lärmblitzer in Wohnquartieren sind sinnlos
Wer in Wohnquartieren seinen Motor hochdrehen lässt, wird dies nicht oft tun. Aufmerksame Nachbarn haben schneller die Nummer der Polizei gewählt, als man durch die 30er Zone gefahren ist. Nicht selten gibt es schon Anzeigen, wenn man an einem Wintermorgen bei laufendem Motor das Eis von der Scheibe kratzt. Und das zu Recht.
Bitte um Lärmblitzer
Leider ist es nötig, unnötigen Lärm mit Nachdruck zu verhindern. Lärmblitzer mögen für die einen oder anderen den Spass am Autofahren verderben. Und Lärm ist bestimmt auch nicht das grösste Problem im Strassenverkehr. Aber die ständige Dezibel-Beschallung hat vermeidbare Folgen für die Gesundheit der Anwohner: Schlafstörungen, Stress, Bluthochdruck.
Meine letzte Bitte geht an die Ingenieure der Automobilhersteller: Hört bitte auf, künstlichen Sound für euren Elektroschrott zu erzeugen. Das ist so sinnlos wie wenn die S-Bahn laute Dampflokomotive-Geräusche machen würde oder jeder Scooter Fahrer mit dem Walküren-Ritt von Wagner umherfahren täte. Oder wie sagt man kleinen Kindern so schön: Es braucht keinen Lärm, um es lustig zu haben.
Text: Jürg Zentner (leidgeplagter Anwohner)
Bild: KI