Und wer haftet jetzt?
Jürg ärgert sich über die Busse von 40 Franken wegen einer Geschwindigkeitsübertretung innerorts mit netto 57 km/h statt der erlaubten 50 km/h. Der Ärger entstand, weil er nicht gefahren und auf dem Radarfoto klar eine Frau zu sehen ist. Trotzdem hat die Polizei die Busse ausgestellt. Dieser Vorfall ruft unweigerlich Robin Road auf den Plan.
Die Begründung von Jürg leuchtet auf den ersten Blick ein: Weshalb soll er eine Busse bezahlen, wenn er offensichtlich nicht gefahren ist? Zudem besteht das von der Verfassung gewährte Recht der Aussageverweigerung, insbesondere, wenn es um nahestehende Personen wie beispielsweise die Ehefrau oder Schwester geht (Zeugnisverweigerungsrecht). Diese braucht man eigentlich nicht zu belasten.
Halterhaftung bedeutet Mitwirkung
Vor ein paar Jahren wurde im Ordnungsbussengesetz die sogenannte Halterhaftung eingeführt. Bei niederschwelligen Bussen kann sich der Halter nicht auf das Aussageverweigerungsrecht berufen. Die Begründung geht dahin, dass sich der Aufwand des Staats bei Massengeschäften in Grenzen halten soll, was eine Mitwirkungspflicht des Halters rechtfertige. Ihm sei zuzumuten, die Identität dessen zu kennen, dem er sein Fahrzeug anvertraut. Weigert sich der Halter oder Lenker, kann er zur Nennung des Namens nicht gezwungen werden. Er muss aber trotzdem die Konsequenzen tragen. Auch diese (Staats-)Meinung hat etwas für sich und wurde vom Parlament schliesslich gutgeheissen. Kurz: Ist nicht bekannt, wer zu schnell gefahren ist, wird die Busse der im Fahrzeugausweis eingetragenen Halterperson auferlegt. Und das auch, wenn die Polizei weiss, dass der Halter als Lenker nicht infrage kommt. Gibt der Halter über die Lenkerschaft keine Auskunft, wird ihm also die Busse zugestellt. Der Halter kann sie innert 30 Tagen bezahlen. Tut er das nicht, wird der Fall zum Staatsanwalt übergeben, und es kommt neben der Busse zu Verfahrensgebühren.
Was hätte Jürg geholfen, um die Busse wie einen lästigen Vogelkot auf dem schönen Autolack loszuwerden? Der Halter kann seine Haftung dann ausbremsen, wenn er glaubhaft machen kann, dass das Fahrzeug gegen seinen Willen benutzt, also gestohlen oder entwendet, wurde und er dies trotz entsprechender Sorgfalt nicht verhindern konnte. Das sind allerdings hohe Anforderungen, die oft nicht bewiesen werden können. So reicht es beispielsweise nicht, wenn der Halter darlegt, er sei zur fraglichen Zeit ausser Landes gewesen und das Auto werde regelmässig von mehreren Personen benutzt.
Firmen sind im Vorteil
Oder aber, der Halter ist eine juristische Person, also eine Firma, eine AG oder GmbH. Obwohl einer der Gründe für die Einführung der Halterhaftung gerade die Vielzahl von nicht bezahlten Parkbussen von Firmen war, hat das Bundesgericht vor ein paar Jahren entschieden, dass dazu das Ordnungsbussengesetz nicht ausreiche. Juristischen Personen können wegen Übertretungen keine Bussen auferlegt werden, auch nicht im Fall einer Halterhaftung.
Für Jürgs Busse kommen leider beide Ausnahmen nicht zum Tragen. Er musste in den sauren Apfel beissen und neben der Busse von 40 Franken auch noch Verfahrensgebühren von 90 Franken bezahlen. Sein Unmut ist verständlich, aber leider von Gesetzes wegen sozusagen gegeben.
Robin Road möchte Sie aber nicht ohne Tipp davon fahren lassen:
Lassen Sie sich nicht verunsichern, wenn auf dem Formular der Polizei zur Lenkerangabe steht, dass ohnehin der Halter haftet, wenn keine Angaben zur Lenkerschaft gemacht würden. Die Halterhaftung und damit die Pflicht zur Mitwirkung des Halters gilt nur bei Ordnungsbussen. Geht es um schwerwiegende Vorwürfe, die beispielsweise zu einem Ausweisentzug oder zu einem Strafregistereintrag führen, gilt die Halterhaftung nicht. Um zu klären, ob es sich um eine Ordnungsbusse handelt, bleibt einem aber leider nichts anderes übrig, als die lange Liste der Ordnungsbussenverordnung (OBV) zu konsultieren. Diese ändert sich regelmässig, und die Polizei kennt sie nicht immer auswendig.
Hier können Sie den Ordnungsbussenkatalog durchstöbern
Robin Road wünscht Ihnen auch 2022 gute Fahrt!
Text: Robin Road
Fotos: Vesa Eskola
Robin Road hilft
Dr. Rainer Riek — alias Robin Road — schreibt in jeder ai-Ausgabe oder auf unserer Homepage
www.auto-illustrierte.ch über strassenverkehrsrechtliche Themen sowie rund ums Auto im Recht. Er ist Rechtsanwalt und Notar bei www.zp-law.ch und unter anderem spezialisiert auf Strassenverkehrsrecht. Zudem postet er seine Autoquartette auf dem Auto-Blog von www.driving.legal
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Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier meist um reale Fälle mit geänderten Namen. Jeder Fall ist verschieden und muss einzeln betrachtet werden. Daher erfolgen sämtliche Empfehlungen und Angaben ohne Gewähr.
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