Robin Road

Polizeifahrt – Schneller als sie selbst erlaubt?

René musste schnell entscheiden. Die Einsatzzentrale der Kantonspolizei meldete einen Unfall mit Schwerverletzten. Er übernahm den Auftrag, setzte sich ins Polizeiauto und fuhr los. Aber bei der Fahrt zur Unfallstelle wurde René geblitzt. Robin Road erklärt, was die Polizei darf und was nicht.

Veröffentlicht am 25.05.2022

Der Polizeifunk meldete, dass das Opfer zwischenzeitlich reanimiert werden konnte. Gleichzeitig war zudem der Rega-Helikopter aufgeboten worden. Renés Auftrag war es, als Erstes die Strasse zu sperren, damit der Helikopter ungestört landen und die Rettungsdienste das Opfer ins Spital fliegen konnten. Es musste schnell gehen. Nur: Bei der Fahrt zur Unfallstelle wurde René geblitzt, mit innerorts um satte 43 km/h zu schnell. 

Als Kind gehen viele davon aus, dass öffentliche Verkehrsmittel, Feuerwehrzüge, Krankenautos und auch die Polizeiwagen sozusagen immer freie Fahrt hätten. Vielleicht rührt auch daher die Faszination für diese Berufe. Darf die Polizei also ihre eigenen Polizistinnen und Polizisten büssen? 

 

Kein «Miami Vice» 

Diese Frage muss flugs mit einem klaren «Ja» beantwortet werden. Selbst die Polizei muss sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen halten und kann gebüsst werden, sei es im Dienst oder privat. Die Waffe im Halfter allein berechtigt somit nicht zu wilden Verfolgungsjagden à la «Miami Vice».

Immerhin schützt das Gesetz Notfallfahrten unter gewissen Bedingungen. Der Fahrer eines Polizeiautos ist auf einer dringlichen Dienstfahrt nicht strafbar, sofern er die erforderlichen Warnsignale gibt und alle Sorgfalt beobachtet, die nach den besonderen Verhältnissen erforderlich ist. Das klingt nach einer nicht allzu schweren Aufgabe. Im Einzelfall kann dies aber heimtückisch sein. Heimtückisch deshalb, weil der Grad der Sorgfalt über das sogenannte Verhältnismässigkeitsprinzip bestimmt wird. Das heisst, das lnteresse am raschen Einschreiten muss der möglichen Gefährdung Dritter gegenübergestellt und gegeneinander abgewogen werden. Es geht um eine Abwägung, was wichtiger ist: der Notfalleinsatz oder die Verkehrssicherheit der übrigen Strassenverkehrsteilnehmer. 

Diese Abwägung muss der Polizist oder die Polizistin innert Kürze vornehmen und seine oder ihre  Entscheidung anpassen, wenn sich die Verhältnisse ändern. Das Gesetz verlangt folgende drei Voraussetzungen: 1) dringliche Dienstfahrt, 2) Betätigung der besonderen Warnvorrichtungen (also Blaulicht und Martinshorn) und 3) Beobachtung aller nach den Umständen gebotenen Sorgfalt. Als dringlich gilt, wenn es um die Rettung von Menschenleben, um die Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, um den Schutz bedeutender Sachwerte oder die Verfolgung flüchtiger Personen geht — also doch ein wenig «Miami Vice» … 

 

Polizei büsst sich gleich selbst

Aber Achtung: Die Dringlichkeit wird eng ausgelegt. Nur wenn bereits kleine Zeitverluste eine erhebliche Vergrösserung des Schadens bewirken können, ist die Situation dringlich. Ob sich Riccardo Tubbs oder Sonny Crockett in Miami mit dem legendären schwarzen Ferrari Daytona Spider (Replica) oder später dem weissen Testarossa (Original) jeweils daran gehalten haben? 

Wer nun denkt, dass solche Vorfälle immer zugunsten des Polizisten ausgehen, irrt. Das Verfahren läuft identisch ab wie bei einer «üblichen» Straftat. Das heisst, ab 15 innerorts, 20 ausserorts und 25 km/h zu schnell auf der Autobahn eröffnet die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren und der Polizist muss rechtfertigen, weshalb er zu schnell gefahren ist. Neben dem Strafverfahren eröffnet das Strassenverkehrsamt ebenso ein Verfahren über einen möglichen Ausweisentzug. Damit noch nicht genug: Je nachdem droht dem Polizisten auch noch ein internes Disziplinarverfahren vom Chef. 

René hatte die Warnsignale am Dienstfahrzeug in Betrieb. Ferner durfte er davon ausgehen, dass sein Einsatz dringlich war: Jede zeitliche Verzögerung in der Transportkette bei der Überführung ins Spital hätte das Leben des Opfers gefährden können. Entscheidend war aber auch, dass René die nach den Umständen gebotene Sorgfalt beachtete, die Fahrt auf der freien, mittigen Busspur erfolgte und die Fahrtstrecke frei überblickbar war, bei guten Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Die Geschwindigkeitsübertretung wurde als verhältnismässig betrachtet. René handelte pflichtbewusst und uneigennützig. Eine ganze Menge, die René richtig machen musste. Das Verfahren gegen ihn wurde daher zu Recht eingestellt.

Robin Road wünscht Ihnen und vor allem allen Polizistinnen und Polizisten gute Fahrt!

Text: Robin Road
Fotos: Vesa Eskola

 

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Robin Road hilft

Dr. Rainer Riek — alias Robin Road — schreibt in jeder ai-Ausgabe oder auf unserer Homepage
www.auto-illustrierte.ch über strassenverkehrsrechtliche Themen sowie rund ums Auto im Recht. Er ist Rechtsanwalt und Notar bei www.zp-law.ch und unter anderem spezialisiert auf Strassenverkehrsrecht. Zudem postet er seine Autoquartette auf dem Auto-Blog von www.driving.legal

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Wichtiger Hinweis: Es handelt sich hier meist um reale Fälle mit geänderten Namen. Jeder Fall ist verschieden und muss einzeln betrachtet werden. Daher erfolgen sämtliche Empfehlungen und Angaben ohne Gewähr.

 

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